Die deutsche Akademie für Fußballkultur veranstaltete am vergangenen Wochenende den ersten Kongress für Fußball und Menschenrechte. Die Hauptthemen umfassten Menschenrechtsverletzungen im Zuge von Sportgroßveranstaltungen, sowie in der Sportartikelproduktion und die Missachtung der Rechte von Stadionbesuchern. Eine Zusammenfassung der Vorträge, Diskussionsrunden und Workshop-Arbeiten.
In Sachen Menschenrechte hat die Stadt Nürnberg mit vielen Organisationen und Veranstaltungen eine besondere Rolle. Dort sitzen zum Beispiel ein Menschenrechtszentrum und es findet ein jährliches Filmfest statt. Für den Kongress stand daher einiges auf dem Programm und namhafte Gäste, wenn auch nicht unbedingt aus dem Fußball oder Sportbereich, waren angekündigt.
Die Veranstaltung begann mit einer interessanten Rede von Prof. Dr. Heiner Bielefeldt, der einen Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der FAU Erlangen-Nürnberg innehält. Er lieferte einen sehr interessanten Rundumblick über Definitionen von Menschenrechten, weltweiten Problemen und Ansatzpunkten für Verbesserungen.
Der nächste, für Fußballfans besonders interessante Vortrag, war von Daniela Wurbs, leitende Mitarbeiterin bei Football Supporters Europe. Sie nannte viele Probleme mit denen Fans aus ganz Europa zu kämpfen haben. In der Türkei erhalten nur Besitzer der Passolig Eintrittskarten für Stadien. Für die Erteilung der Passolig, eine Art Kreditkarte von einer Bank eines Familienangehörigen Erdogans, ist die Abgabe aller persönlichen Daten inklusive Sozialversicherungsnummer Pflicht. In Italien hat man mit der Tessera ähnlich strenge Vorgaben. Außerhalb Deutschlands ist es vielerorts, vor allem in den Niederlanden und England, üblich, dass sich Fans an vorgeschriebene Routen bei Auswärtsspielen halten müssen. So kann es sein, dass ein in London lebender Newcastle United-Fan beim Spiel seiner Mannschaft in London, für einen Stadionbesuch zunächst nach Newcastle reisen muss und dort in einen vorbestimmten Bus oder Zug einsteigen muss, um sein Ticket zu erhalten. Nach dem Spiel muss er gegebenenfalls wieder nach Newcastle reisen. Außerdem erklärte sie, wie schwer es Fans teilweise haben, wenn sie sich politisch engagieren möchten. Häufig werden geplante Aktionen von UEFA oder FIFA verboten, aus Angst die Sichtbarkeit der Werbebotschaften im Stadion wird eingeschränkt. Die FSE versucht in diesen Fällen als Vermittler zwischen den Parteien aufzutreten und sich für die Anliegen der Fans einzusetzen.
Davor lieferte von Dr. Marianne Meier von Terre des Hommes einen Überblick der Folgen von Sportgroßveranstaltungen, vor allem für Kinder. Obwohl diese Events große Chancen im Bereich der Infrastruktur bieten und einigen Kindern so den Zugang zu Bildung ermöglichen, so verlieren doch viele ihren Wohnsitz oder werden möglicherweise als Arbeiter ausgebeutet. Im Zuge der Befriedung einiger brasilianischer Favelas gab es zudem Verletzte und Tote.
Gemeinsam mit Wenzel Michalski, von Human Rights Watch, sprachen Sie obendrein über einen Fragenkatalog zum Thema Menschenrechte, der an jeden FIFA-Präsidentschaftskandidaten geschickt wurde. Dadurch können sie bei späteren Missachtungen seitens der FIFA an ihre Versprechen erinnern. Eine Frage, ob der Fußball eine besondere Rolle bei ihrer Arbeit einnimmt, beantwortete Michalski treffend: „Der Sport ist uns eigentlich völlig egal. Uns geht es um die Menschenrechtsverletzungen im Namen des Sports. Wir würden auch zum Sackhüpfen gehen, wenn es dort eine WM gibt, die gegen Menschenrechte verstößt.“
Die angesprochenen Toten beim Bau der Stadien in Quatar und die damit verbundene gesellschaftliche Verantwortung der Bundesligamannschaften war Hauptpunkt in der abendlichen Podiumsdiskussion. Kritisiert wurde, vor allem von Sylvia Schenk, der Leiterin Sport Transparency International Deutschland, die verpasste Gelegenheit von FC Bayern und Borussia Dortmund, die Missachtung der Menschenrechte durch ihre dortigen Trainingslager anzusprechen. Die Verantwortung solcher Entscheidungen liegen hauptsächlich bei den Vereinen. Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestages, Claudia Roth forderte zusätzlich eine Möglichkeit der politischen Äußerung für Spieler oder Trainer, sofern diese sich äußern möchten. Bisher verbieten UEFA und FIFA jegliche Form individueller, politischer Äußerungen auf dem Feld.
Am nächsten Morgen wurde in Workshops konkret diskutiert. Zur Auswahl standen vier Themen: Fußball und Inklusion, Empowerment durch Fußball, Sportartikelindustrie und Fanrechte. Im Workshop Fanrechte wurden zunächst Beispiele für Menschenrechtsverletzungen gegenüber Fußballfans genannt. Der Fan wird beispielsweise bei Auswärtsspielen durch vorgeschriebene Routen in regelmäßigen Abständen seiner persönlichen Freiheit beraubt. Außerdem wurde ein unterschiedlicher Umgang mit Fußballfans und Zivilbürgern thematisiert, was dem Maßstab der Gleichheit widerspricht.
„Die Unterschiede in der Handhabe von Straftaten beim Fußball und in der Zivilbevölkerung lassen sich am Beispiel einer Handgreiflichkeit erklären. Oftmals verzichtet das Opfer einer Kneipenschlägerei auf eine Anzeige und rechtliche Konsequenzen bleiben aus. Kommt es jedoch im Fußballstadion zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung, ist die Polizei selbst der Ausgangspunkt für ein Verfahren.“, erklärte Waltraut Verleih, der AG Fananwälte. So ist es theoretisch denkbar, dass ein bereits geklärter persönlicher Disput dennoch Strafen und ein eventuelles Stadionverbot nach sich zieht. Das Thema Stadionverbote war ein wichtiger Punkt. Das Vergabeverfahren ist laut Verleih höchst problematisch. Zum einen, weil nicht den ordentlichen Weg über die deutschen Gerichte geht. Es wird vom DFB und den Vereinen durchgesetzt, wobei die allgemeingültige Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt wird. Zum anderen erhalten Fans, bis zur Klärung des Verfahrens ein vorläufiges und sofortig geltendes Stadionverbot. Ein unrechtmäßiges Stadionverbot abzuwehren und gegebenenfalls geltende Entschädigungsansprüche durchzusetzen ist für Fans mit extremen Schwierigkeiten verbunden. Um Fans in diesen Fällen zu unterstützen wurden in den letzten Jahren bundesweit mehrere Fanhilfen gegründet.
Im Gegensatz dazu wurde zum Schluss angesprochen, dass, nicht nur die Rechte der Fans missachtet werden, sondern auch Fans selbst gegen das Menschenrecht verstoßen, üblicherweise durch Beleidigungen oder Gewalt gegen Andere. Hier ist es vor allem Aufgabe der Vereine und Fanprojekte präventiv vorzugehen, was in Bochum bereits ein übliches Vorgehen ist, wie ein Florian Kovatsch des Bochumer Fanprojekts bestätigte.
Eine Abschlussrunde, moderiert vom Autor und Journalist Christoph Ruf, fasste diese Ergebnisse zusammen. Dabei wurde speziell das Thema Frauenfußball und dessen Medienberichterstattung diskutiert. Von einigen Personen wurde mehr Präsenz in den Medien eingefordert. Ein schwieriges Thema, den das Interesse ist in großen Teilen der Bevölkerung einfach noch nicht da. Hier müssen aber auch die beteiligten Akteure und Akteurinnen selbst das Thema an die Öffentlichkeit tragen, um Begeisterung zu entfachen. Im Bezug auf Antirassismus und Homophobie hat das schließlich geklappt. Diese Punkte wurden von den Fans selbst angesprochen und sind heute ein wichtiges öffentliches Thema.
Insgesamt war die Veranstaltung ein Erfolg. Alle Beteiligten, egal ob Redner oder Zuhörer wurden in ihrer Arbeit oder ihrem Interesse bestärkt und konnten neue Erkenntnisse mit nach Hause nehmen. Nur in Sachen Präsenz könnte sich noch mehr tun. Schon die Medien waren nur vereinzelt vertreten, von den Vereinen brauch man gar nicht zu sprechen. Von 36 Profifußballclubs waren nur 7 vor Ort, St. Pauli, Fortuna Düsseldorf, VfL Bochum, Darmstadt 98, TSG Hoffenheim, 1 FC Nürnberg und FC Augsburg. Dabei handelte es sich meistens um Mitarbeiter von Fanprojekten, von den leitenden Angestellten war überhaupt niemand dort. Das ist nicht nur schade, sondern fast traurig. Denn nur durch das zur Sprache bringen der lange totgeschwiegenen Missstände, ob in der Öffentlichkeit oder intern im Verein, gibt es überhaupt eine Möglichkeit etwas zu ändern.
Mirkchief
Dieser Artikel erschien auch bei fanzeit.