Groundhopping für Sportliche – „The 92“ mit dem Fahrrad

„Doing the 92“ ist im Mutterland des Fußballs eine Challenge für Groundhopper. Die Aufgabe ist alle 92 Stadien des englischen Profifußballs zu besuchen. Die ganze Organisation und die unvermeidbaren Reisen machen „The 92“ zu einer schwierigen und langwierigen Aufgabe. Jetzt stellt euch vor, einer hat das ganze auf dem Fahrrad gemacht. Die passende Webseite the92.net hat Steven Rittey zu seinem persönlichen Jakobsweg befragt. Nachfolgend die deutsche Übersetzung des Interviews mit einigen Zusatzfragen.

Alle 92 Grounds zu besuchen ist eine gewaltige Aufgabe, aber die Strecken mit dem Fahrrad zu bewältigen, ist dazu extrem ungewöhnlich. Die erste Frage muss einfach lauten – warum?
Steven: Um ehrlich zu sein, ich weiß gar nicht so genau warum. Ich wollte alle Grounds der niederen Profiligen im Großraum Manchester abklappern. Doch dabei hat es mir so viel Spaß gemacht, dass ich weiter gemacht habe und bis Cheshire und Staffordshire gefahren bin. Das erste Stadion, das ich besucht habe, war das DW Stadium in Wigan und nachdem ich das Britannia Stadium von Stoke City F.C. abgehakt hatte, entwickelte sich schnell ein Plan „The 92“ zu absolvieren.

DW Stadium

 

In einem Anflug von Naivität und Unüberlegtheit entschied ich auch noch alle Blue Square Premier Clubs (5. Liga, höchste Amateurspielklasse, auch National League genannt, offizieller Name heute: Vanamera Conference) aus der 2011er Saison. Das hat das Projekt verlängert, aber es gab mir einen guten Einblick in unterklassigen Fußball und wie sich die Stadien unterscheiden, je weiter man nach unten geht.

Wann kam dir zum ersten Mal die Idee mit dem Fahrrad die 92 zu absolvieren?
Steven: Nachdem ich, wie bereits angesprochen, die Stadien im Großraum Manchester abgeklappert hatte, realisierte ich, dass ich meine drei größten Interessen kombinierte: Fahrrad fahren, Architektur und etwas über die Geschichte und Kultur der Regionen zu erfahren. Ich hatte bereits 30 Stadien geschafft, also beschloss ich einfach weiter zu machen, um zu sehen, wie weit ich kommen kann. Die Tatsache, dass ich mir Fußballstadien angesehen habe war nicht unbedingt wegen meiner glühenden Liebe zum Spiel, sondern eher aus Interesse an der Stadionarchitektur und der Challenge, die Wege zwischen den Stadien zu bewältigen. Außerdem finde ich es interessant, wie Fußballstadien zu einer Umgestaltung städtischer Bezirke in Großbritannien beitragen.

Wenn man mal überlegt, haben eigentlich alle größeren Gemeinden ein Stadion. So wurden sie zu einer Art Wegweiser, welche Städte ich bereits besucht hatte und wo ich als nächstes hinkonnte. Im Gegensatz zu anderen Groundhoppern, die Stadien einfach nur als weiteren Haken auf ihrer Liste sehen, mochte ich die Herangehensweise, mir frei auswählen zu können, wann ich mir die Stadien ansehe und mir außerdem vor Ort mehr Zeit nehmen zu können.

Wie lange hat es insgesamt gedauert, bis du alle 92 Stadien gesehen hast?
Steven: Angefangen habe ich am Remembrance Day 2011 (11. November) mit dem DW Stadion in Wigan und beendet habe ich meine Challenge basierend auf den Ligen in 2011 um Ostern 2015. Das letzte Stadion war das Priestfield Stadion in Gillingham, einem Drittligisten, aber wegen einer kleinen Miskalkulation begründet durch Auf- und Abstiege musste ich noch nach Aldershot um die Challenge endgültig zu beenden. Dieses Stadion besichtigte ich dann einfach auf einem Trip an die Südküste, als ich zurück in meine Heimatstadt Gosport radelte.

Etihad Stadium

 

Du warst aber nicht ausschließlich mit dem Fahrrad unterwegs. Welche anderen Fortbewegungsmittel hast du noch genutzt?
Steven: Obwohl mir Fahrrad fahren besonders gut gefällt, fiel mir irgendwann auf, dass ich auch auf anderem Wege zu den Stadien kommen könnte. In London bin ich zu den Stadien gejoggt, genau so von Southampton nach Portsmouth, was sogar der Marathondistanz entsprach. Auf einigen meiner Fotos sind daher Laufschuhe, um zu zeigen wie ich die Stadien erreicht habe. Auf anderen sieht man entsprechend mein Fahrrad im Vordergrund. Außerdem hatte ich die Idee, mit dem Kickroller von Liverpool nach Manchester zu fahren, den „East Lancs Road“-Fahrradweg entlang. Peinlicherweise verließ Simon Cowell (der britische Dieter Bohlen, nur mit weniger Skandalen) gerade sein Hotel, als ich meine Wohnung direkt gegenüber erreichte. Nachdem ich ihm erklärt hatte, was ich genau mache, gratulierte er mir aber. Danach bin ich noch ein paar Mal mit dem Scooter gefahren, einmal wäre ich fast eingeschneit worden.

Was ich auch noch gemacht habe, war ein Kayak-Rennen den 156 Kilometer langen Cheshire Ring entlang. Schließlich lagen die Stadien von Manchester City und United auf diesem Weg und mit dem Fahrrad dorthin zu fahren wäre keine große Herausforderung gewesen, denn sie liegen nur ein paar Kilometer von meiner Wohnung entfernt. Mit Abstand am meisten war ich jedoch mit dem Fahrrad unterwegs. Dabei habe ich so viele verschiedene Landschaften und Teile von Großbritannien nur wegen der Fußballtour gesehen. Das gab mir die Chance einen ganz neuen Blickwinkel zu bekommen.

Hast du dir irgendwelche Spiele auf deiner Tour angesehen? 
Steven: Nein, mir war klar, dass es keine gute Idee ist, die ganzen Radfahrerklamotten bei einem Spiel anzuziehen. Außerdem wäre es viel voller gewesen und ich hätte keine Möglichkeit, meine typischen Fotos von den Stadien zu schießen. In einigen Stadien bin ich aber eingeladen worden. In einem meiner liebsten modernen Stadien, dem Amex Community Stadium in Brighton, hatte ich eine private Führung. Im Britannia Stadium in Stoke war ich mit Leuten von the92.net und in Port Vale bin ich nach dem Training mit den Spielern in die Umkleide gegangen, was ein paar irritierte Blicke nach sich zog. In Schottland luden mich die Leute von Inverness Caledonian Thistle ein, als ich auf der Durchreise war. Sie ließen mich sogar den schottischen FA-Pokal hochhalten, eine Woche nachdem die Mannschaft ihn gewonnen hatte. Da es sich bei der Reise aber um ein privates Projekt ohne wohltätigen Hintergrund handelte, versuchte ich mich zurückzuhalten. Es ging mir darum die Stadien von außen zu sehen, Führungen oder Kabinenbesichtigungen waren mir nicht so wichtig.

Wenn du dir auf der Tour nicht ein Spiel angesehen hast, woher kommt dann dein Interesse für Fußballstadien?
Steven:
Das Interesse kommt hauptsächlich von meiner Leidenschaft für urbane Kultur und Städtebau, für die ich mich seit der Schulzeit interessiere. Ich wuchs in einer Zeit auf, als die Premier League gegründet wurde und langsam richtig viel Geld floß. Daher wurden viele alte Stadien abgerissen oder modernisiert. Teilweise ist es schade um die alten viktorianischen Bauten, aber die Auswirkungen eines Neubaus sind gigantisch. Häufig entstehen diese in ehemaligen Industriegebieten. Aus vorher ungenutzten Flächen entstehen teilweise komplett neue Stadtviertel, wie beispielsweise beim Wembley Stadion in London. Andere Beispiele sind Southampton, Stoke City, Hull City, Manchester City oder die MK Dons.

Wenn du dich so sehr für Architektur und Städtebau interessiert, machst du beruflich etwas in dieser Richtung?
Steven:
Nein, ich arbeite bei einer Firma die Fahrradreisen anbietet. Also habe ich quasi eine sehr lange Fortbildung gemacht, haha.

Craven Cottage

 

Gehst du denn überhaupt zum Fußball? Hast du ein Lieblingsteam?
Steven: 
Ich gehe ab an zu, aber generell habe ich nicht mehr so viel Spaß am Fußball gucken wie früher. Aber es gibt definitiv Dinge beim Fußball, die ich immer noch liebe, Trikots zum Beispiel. Ich liebe Trikots und hatte sogar mal ein richtig große Sammlung, obwohl ich nie wirklich Fan eines Vereins war. Natürlich verfolge ich die Teams in meiner Heimatstadt und 2008, als Portsmouth FC im Finale des FA-Cup war, habe ich natürlich mitgefiebert. Was mich aber zunehmend beunruhigt hat und auch ein Grund ist, warum ich nicht so oft zum Fußball gehe, sind die Ticketpreise. Auch abseits der Premier League bin ich erstaunt, dass es kaum Clubs gibt, die weniger als 20£ verlangen, egal ob 2. Liga oder 4. Liga. Ich würde mir wünschen, dass die Clubs endlich realisieren, dass sich die Plätze zunehmend leeren und selbst wenn die Fernsehgelder das kompensieren ist es doch traurig mit anzusehen. Meiner Meinung nach sollten Clubs auch Tickets für 5 oder 10£ anbieten, um mehr Leute anzulocken und ihnen die Möglichkeit zu geben, Geld für Verpflegung und Fanartikel auszugeben.

Um den Prozess der ewig und vor allem rasant steigenden Preise aufzuhalten, sollte man sich an der Preisgestaltung bei Flugtickets orientieren. Ist die Nachfrage groß werden auch die Karten teurer, kommt ein wenig attraktiver Gegner kann man hingegen sehr günstig an ein Ticket kommen. Das würde die Preisstruktur revolutionieren. Im Vergleich zu Deutschland gibt es in Großbritannien ein riesiges Überangebot an Fußballspielen. Allein im Nordosten von England, in der Region um Manchester, gibt es jedes Wochenende etwa 250.000 Plätze zu besetzen. Mit der aktuellen Preisgestaltung ist das unmöglich.

Zurück zu deinen Reisen, was waren deine Highlights?
Steven: Es gab einige Touren, die ich im Gedächtnis behalten werde. Die Strecke von Bath nach Cardiff als ich mit dem Fahrrad über die Severn Bridge fuhr. Genauso einige Fahrten durch Regionen, die ich normalerweise nicht oft zu sehen bekomme, wie East Anglia, Home Counties and Kent. Das absolute Highlight war eine Tour von Exeter, über Yeovil und Bournemouth nach Portsmouth, an einem Tag, wobei ich zusätzlich noch die Isle of Wight überquerte. Das war mit über 200 Kilometern eine ganz schöne Mammutaufgabe und eine ungewöhnliche Art, mal wieder in meine Heimatstadt Portsmouth/Gosport zu fahren. Mir gefiel auch das Planen der Touren und Buchen der Züge. Es war ein gutes Gefühl Samstag früh morgens aufzustehen, den ganzen Tag unterwegs zu sein, um etwas zu machen, was noch nicht viele vor mir geschafft haben.

Und was waren die Tiefpunkte?
Steven: Ehrlich gesagt, die ganze Zeit, die dabei drauf ging. Ich weiß, dass es Leute in ein paar Wochen geschafft haben um die 92 abzuradeln, aber ich blieb nur bei Tagestrips und kehrte immer wieder zurück nach Hause, was natürlich Zeit gekostet hat. Jeden Samstag wegzufahren stellte außerdem die Beziehung zu meiner Freundin auf eine harte Probe. Vor allem wenn man an einigen Tagen erst mitten in der Nacht wiederkam. Zudem musste ich unter der Woche ganz normal arbeiten. Als ich bei 80 Stadien angelangt war, machte ich für eine längere Zeit Pause, aber ich war schon so weit, dass ich es unbedingt schaffen wollte. Für das Jahr 2015 nahm ich mir fest vor, die Challenge zu beenden.

Eine andere Sache, die mir zu schaffen machte, war ein ständiges mulmiges Gefühl, die Züge für die Rückfahrt zu verpassen oder aus Platzgründen mit dem Rad nicht mehr reinzupassen. Am Ende hatte ich eigentlich nie Probleme. Außer einmal, als ich zu früh in Peterborough war und drei Stunden warten musste. Zudem musste ich mir meinen Platz im Zug gegen Auswärtsfans aus Leeds erkämpfen. Die größeren Probleme hatte ich, den richtigen Weg zu finden. Großbritannien hat ein wirkliches Problem mit der Beschilderung seiner Radwege.

Hampden Park

 

Als letzte Frage, welche Fahrrad-Groundhopping Touren hast du für die Zukunft geplant?
Steven: Jetzt wo ich die 92er-Challenge beendet habe, kann ich erst mal ein paar Touren machen, ohne mir Sorgen machen zu müssen eventuell ein Stadion zu verpassen. Ich werde versuchen, noch mehr Stadien der nicht professionalisierten 5. und 6. Liga zu besichtigen. Außerdem bin ich kurz davor, alle Waliser Stadien gesehen zu haben und könnte wahrscheinlich auch die schottische Liga relativ schnell zu Ende bringen. Vielleicht sollte ich das machen, um wirklich alles gesehen zu haben. Momentan werden auch nicht so viele neue Stadien in England gebaut, daher ist es nicht dringend notwendig meine Liste zu updaten.

Nur Rotherham United hat in den letzten Jahren etwas komisches vollzogen. Sie haben zwischen 2011 und 2015 in drei verschiedenen Stadien gespielt. Millmoor, Don Valley und zuletzt das Stadion mit dem merkwürdigen Namen New York Stadium. Natürlich versuche ich mir auch auf Reisen ins Ausland Stadien anzusehen. Besichtigt habe ich unter anderem schon die Amsterdam Arena, die Generali Arena in Prag, das Ratina Stadion in Tampere, das Estádio António Coimbra da Mota in Estoril und das Stadion Stožice in Ljubljana. Neulich erst war ich im Olympiastadion in Rom und habe mir die Statuen von Mussolini angesehen

Ich weiß auch, streng genommen bin ich kein Mitglied im elitären 92er Club, weil ich kein einziges Spiel gesehen habe. Aber ich bin trotzdem stolz auf meine Reisen zu den unterschiedlichen Stadien. Vielleicht konnte ich auch einige Leute motivieren mal wieder etwas mehr Fahrrad zu fahren.

 

Wenn ihr mehr über Steven erfahren wollt, besucht ihn auf Twitter oder schaut euch seine Fotogalerie auf Flickr an. Das original Interview gibt es hier.

Mirkchief

FacebooktwittermailFacebooktwittermail