Warum die Ultras Hannover mit ihrer Kind-Kritik recht haben

Der sportliche Erfolg gibt Kind recht, schreiben die Medien. Die Kritik der Ultras geht jedoch weit über die aktuelle Tabellensituation hinaus. Ein Kommentar.

Die Debatte zwischen Ultras und Verein ist momentan nicht nur in Hannover Thema. So analysierte bereits Alfred Draxler, „Es geht gut ohne Ultras“, nachdem 96 sein erstes Heimspiel gewonnen hatte. Nach dem zweiten Heimsieg und der vorläufigen Tabellenführung sprangen natürlich weitere Medien auf diesen Zug auf. Die Neue Presse zeigte sich „ultra-genervt“, dem Kicker war es die Schlagzeile „Die Mannschaft wird komplett im Stich gelassen“ wert und im Sportstudio schwärmten Kinds Manager und Trainer fröhlich vom Hannover-Modell. Der Erfolg spielt Martin Kind in die Karten. Beim letzten Stimmungsboykott der Ultras sah das noch anders aus.

Über fast die gesamte Saison 2014/15 ging die aktive Fanszene nur zur zweiten Mannschaft, weil der Verein unter anderem seine Fans beim Derby in Braunschweig unrechtmäßig zur Busanreise zwang und die freie Platzwahl im Fanblock aufgehoben hatte. Kurz vor Saisonende entschuldigte sich der Verein und räumte Fehler ein. Das war nach dem 29. Spieltag, als Hannover gerade 4:0 in Leverkusen verloren hatte und zwei Punkte vor der Relegation stand. In der gemeinsamen Stellungnahme von Fanszene und Verein sprach man damals von einem Neubeginn:

„Dazu gehört auch, dass fanpolitische Themen nicht über die Medien kommuniziert werden. Dieser offene Dialog soll selbstverständlich regelmäßig fortgeführt werden, um zukünftig die Fanszene in Hannover transparenter über die Entscheidungen des Klubs zu informieren und nach Möglichkeit sogar zu involvieren.“

Diese Worte klingen heute wie eine Farce. 119 Mitgliedsanträge wurden abgelehnt und beim letzten Heimspiel wurde ein Spruchband mit der Aufschrift „Ostkurve für 50+1“ von Ordnern abgehängt. Während Kind auch diese Saison anfänglich noch die Unterstützung der Ultras einforderte, sieht er jetzt eine Chance, wenn diese ihre Unterstützung einstellen oder den Spielen fernbleiben. Der sportliche Erfolg freut schließlich den Großteil der Fans und ist zeitgleich Kinds einziges Argument für seine Vereinsübernahme.

Was in der Debatte in den Medien übersehen wird: Die Ultras sind nicht gegen eine erfolgreiche Mannschaft, aber der Verlust des Mitbestimmungsrechts ist dafür ein viel zu hoher Preis. Obwohl die Mitsprache der Fans im täglichen Geschäft gegen null tendiert, können sie dennoch zur Wahrung der Identität eines Vereins beitragen. So können zum Beispiel Satzungsänderungen durch Mitglieder verhindert werden. Wohin Investoren einen Verein ohne dieses Kontrollorgan führen können, zeigt das Beispiel vom walisischen Cardiff City. Investor Vincent Tan änderte das Vereinslogo und die Farbe der Heimtrikots. Als Gegenleistung versprach er Premier-League-Fußball und ein erstklassiges Trainingszentrum. Nach einem Jahr im Oberhaus stieg die Mannschaft jedoch ab und das Trainingszentrum wurde so nie gebaut. Immerhin spielt die Mannschaft nach jahrelangem Protest der Fans wieder in den traditionellen Trikots.

Selbst wenn Kind noch zu den gemäßigteren Investoren zählt und bei Hannover 96 von einer Herzensangelegenheit spricht, dient die Übernahme auch seinen finanziellen Interessen. Geld in den Verein stecken konnte er die ganze Zeit, aber die Übernahme ermöglicht es ihm dafür einen Gegenwert in seinen Büchern zu bilanzieren. Außerdem muss Hannover 96 an eine Zeit nach Kind denken. Welche Investoren übernehmen dann seine Anteile? In Deutschland sind Vereinsanteile von Jahn Regensburg aktuell in der Hand eines Investors, dessen Ziele der Verein nicht kennt und der dem Verein einen Rückkauf der Anteile verweigert. Wenn Hannover 96 einmal für Investoren geöffnet ist, gibt es kein zurück mehr. Selbst Kind hat die Markenrechte von 96 nicht abgetreten, als es dem Verein finanziell wieder besser ging.

Obendrein kommt zum Verlust des Mitbestimmungsrechts noch, dass Investoren keine Garantie für sportliche Erfolge sind. 1860 München und der Hamburger SV können davon ein Lied singen. Im Gegenteil, Investments sind als Einmalzahlungen für längerfristige Planungen sogar schlechter geeignet als Sponsorengelder, die jede Saison fällig sind. Es ist verständlich, dass Kind Hannover 96 nach so vielen Jahren der Unterstützung übernehmen will, die Kritik und Bedenken der Ultras muss er allerdings auch verstehen. Selbst wenn es sportlich gerade gut läuft. Die Ultras wollen ihren Kindern und Enkeln nicht von einer einmaligen Tabellenführung erzählen, sondern weiterhin die Möglichkeit haben sie zu ihrem Hannover 96 mitnehmen zu können. Und das sehen sie durch eine mehrheitliche Übernahme von Investoren in Gefahr.

Der Kommentar erschien auch bei Fanzeit.

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