Pokalfinale in Nanjing – Zwischen Ultrakultur und Fast-Food-Mentalität

Jiangsu Sainty Football Club erreicht in dieser Saison das Pokalfinale in China. Die Fans unterstützen ihre Mannschaft nach dem Vorbild der Ultras mit Choreographien, Fahnen und Fangesängen und in der Halbzeit essen sie mitgebrachte Big Macs. Ein Bericht über den Besuch des Hinspiels in Nanjing.

Mit meinem Auslandssemester in Nanjing hatte ich wirklich Glück. Die Mannschaft der Hauptstadt des Südens, Jiangsu Sainty Football Club, erreichte in dieser Zeit das Finale im chinesischen FA-Cup. Allerdings hat nur das Hinspiel im örtlichen Nanjing Olympic Sports Center stattgefunden, denn in China werden auch die Finalspiele mit Hin- und Rückspiel ausgetragen. Das 2005 eröffnete Stadion ist ein reines Sitzplatzstadion, aber leider kein reines Fußballstadion. Dementsprechend sitzt bzw. steht man (auf den Sitzen) ein gutes Stück vom Spielfeld entfernt. Mit einem Fassungsvermögen von 61.443 ist es das Zweitgrößte in der Chinese Super League, hinter dem Worker’s Stadium in Peking mit 70.161 Plätzen. Im letzten Jahr wurden hier noch die Olympic Youth Games ausgetragen. Nichtsdestotrotz ist das Stadion optisch definitiv ein Highlight. Mit seiner Architektur erinnert es, vor allem von außen, ein wenig an das neue Wembley Stadion in London.

Nanjing Olympic Sports Center

 

Das Finale war mein dritter und letzter Besuch in diesem Stadion. Der Gegner war, wie schon im letzten Ligaspiel, Shanghai Greenland, einer von gleich drei Erstligisten aus besagter Stadt. Wir reisten frühzeitig an, da wir noch keine Tickets hatten. Diese kauft man eher von Straßenverkäufern, als am offiziellen Ticketschalter, denn dort sind sie oftmals um die Hälfte günstiger. Mein persönlicher Erklärungsversuch wie das funktionieren kann, sind die in China üblichen Mengenrabatte. Also zwei Karten für jeweils 50 Yuan (Umrechnungskurs 7 Yuan sind 1 EUR) gekauft und auf zu unseren bekannten Supportern namens Bluestorm. Doch es gab ein Problem – unsere Karten waren für den zweiten Rang auf der Haupttribüne. Wir mimten jedoch die dummen Ausländer, deren einzige Chinesichkenntnisse das Bestellen der „Nummer 3 mit scharf“ umfassen und versuchten dem Ordner zu erklären, dass unsere Freunde schon im Block stehen. Beim ersten Ordner funktionierte es nicht, naja egal, dann auf zum Nächsten. Ein Laienschauspiel mit fünf-minütigem, wilden Gestikulieren später, waren wir im Block. Zuvor musste jedoch noch schnell das mitgebrachte Bier ge-ext werden. Anders als in vorherigen Berichten gelesen, war es hier nämlich nicht erlaubt Bier ins Stadion mitzunehmen. Gesagt, getan und dann schnell rein in den Block, schließlich wurde Hilfe bei der Choreo benötigt. Grund dafür war, zum einen natürlich das Erreichen des Pokalfinales und zum anderen, weil es das letzte Heimspiel der Saison war. Da bedankt sich der Chinese natürlich artig.

Jiangsu Sainty Choreo

 

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Viel interessanter ist aber die Tatsache, dass sich die Jiangsu Sainty International Group, Tochter der Jiangsu Guoxin Investment Group Ltd., dazu entschlossen hat seine Anteile zu verkaufen. Dementsprechend war es wohl auch das letzte Spiel unter dem offiziellen Namen „Jiangsu Guoxin-Sainty F.C.“. Erwähnenswert ist hier die Information, dass Jiangsu sich auf den Namen der Provinz bezieht, von welcher Nanjing die Hauptstadt ist. Die Fans sind sehr stolz diesen Namen tragen zu dürfen. Es hingen auch Banner des Revolutionsführers und Staatsmannes Sun Yat-sen im Stadion, welcher in Nanjing, der damaligen Hauptstadt Chinas, zum ersten Präsidenten der Republik China gewählt wurde. Passend dazu wird bei jedem Spiel die Nationalhymne gespielt. Kurz vor dem Anpfiff drehen sich alle Zuschauer zur chinesischen Fahne und singen lauthals den „Marsch der Freiwilligen“.

Sainty Fans1

 

Nachdem die Choreo wieder verstaut wurde, hielt ich erstmal die Augen auf, um die eventuell mitgereiste Fangruppierung „Dembabären“ zu sichten. Bei Shanghai Greenland steht schließlich der ehemalige Hoffenheimer Demba Ba unter Vertrag. Im letzten Ligaspiel gegen Jiangsu Sainty schnürte er sogar einen Hattrick. Doch kurz vorweggenommen, dieses mal bekam er nichts auf die Beine, da der kompromisslose, rumänische Innenverteidiger Marius Constantin ihn hervorragend aus dem Spiel nahm. Auch die „Dembabären“ waren nicht zu erspähen. Eine Umbenennung scheint wohl auch eine Neuausrichtung mit stärkerem Fokus auf den Plastikverein nach sich gezogen zu haben.

Allgemein machte Jiangsu Sainty ein gutes Spiel und war in meinen Augen die klar bessere Mannschaft. Das, obwohl der Schiedsrichter offensichtlich eine Vorliebe für die Gäste hatte. Der Verdacht erhärtete sich, als einem im Nachhinein erzählt wurde, dass der Schiedsrichter in Shanghai geboren und aufgewachsen ist. Dies wurde jedoch vom chinesischen Fußballverband nicht beachtet, weil er jetzt einem anderen Landesverband angehört. Mit Verlaub, wäre da ein Knut Kircher an der Pfeife gewesen, wären sicherlich vier Gegner vom Platz geflogen. Denn anders als in China zu erwarten, war die Gangart teilweise schlimmer als in brisanten Bundesligapartien. Selbst bei übertriebene Grätschen mit offener Sohle, in Situationen à la Guerrero/Ulreich, wurde nicht mal der gelbe Karton gezeigt. Wahrscheinlich, weil die Spieler dem Schiedsrichter danach in bester van Bommel-Manier klar machten: „Was Junge, ganz normaler Körperkontakt“.

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Dies brachte die Heimfans ziemlich in Rage. Normalerweise haben die Supporter der Saintys einstudierte Gesänge, sich abwechselnde Sprechchöre und auch Trommler, sowie mehrere Vorsänger. Nicht unüblich sind hier Frauen am Megafon. Fahnen werden geschwenkt und sogar Podeste für die Einheizer sind vorhanden. Generell kann gesagt werden, dass die Stimmung im Stadion deutlich besser als erwartet war. In der Halbzeit wurden mitgebrachte Lunchpakete von KFC und McDonalds vertilgt und Halsbonbons verteilt, um auch in der zweiten Hälfte die Mannschaft nach vorne peitschen zu können. Wer dies übrigens nicht macht, erntet böse Blicke vom Capo. Kurz vor dem Abpfiff verteilten sich die Soldaten, welche das ganze Spiel über mit dem Rücken zu uns saßen, um das Spielfeld, um etwaige Platzstürme zu verhindern.

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In meinen Augen relativ sinnbefreit, da es nach dem 0:0 absolut friedlich herging und die Heimfans mehr mit den Tränen als mit den Gästefans zu kämpfen hatten. Grund dafür ist die bereits im zweiten Absatz genannte Thematik der Umbenennung. Um sich bei den Fans für die jahrelange Unterstützung zu bedanken, wurde eine Powerpoint-Präsentation der Qualität „Grundschüler“ über die riesigen LED-Bildschirme gezeigt. Das hat die Fans allerdings nicht gestört und so wurde das ganze Stadion in ein Lichtermeer der Gefühle verwandelt. Fast alle Zuschauer nutzen ihre Smartphone-Lampe, um ein Teil dieses Momentes zu sein. So passierte es dann, dass viele Ihren Emotionen freien Lauf ließen und die Tränen begannen zu kullern. Das Rückspiel in Shanghai wurde übrigens mit 0:1 in der Verlängerung gewonnen und die Saintys sind somit Pokalsieger.

Mein Fazit: Ein durchweg lohnender Stadionbesuch. Die Atmosphäre in Nanjing ist ein Erlebnis und die Ticketpreise sind extrem günstig. Außerdem war es schön, endlich mal ein Finalspiel zu sehen. Wenn ich als HSV-Fan schon keinen Titel miterleben darf, dann eben in Nanjing.

Nic

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