Tripreport London: Über Boxing Day in Europas Fußballhauptstadt (Part1)

Noch nie habe ich ein Fußballspiel im Mutterland des Fußballs besucht. Das sollte sich zum Jahresausklang 2015 endlich ändern. In England gibt es schließlich keine Winterpause und man kann innerhalb kürzester Zeit viele Spiele und Stadien besichtigen. Die Planung für einen Trip begann bereits frühzeitig, die Buchung war hingegen relativ kurzfristig. Ziel war Spiele von West Ham, Fulham und Millwall zu besuchen. Tickets habe ich mir vorab keine besorgt, aber das Universum wird es schon richten.

Am 25.12 ging es endlich von Frankfurt nach London. Nach der Ankunft in Heathrow, wartete zunächst eine Überraschung. Es war etwa 21:30 und die U-Bahn war geschlossen – wegen Weihnachten. Auf der Suche nach einem Bus kam ich mit zwei deutschen ins Gespräch. Ihre Ziele: Tottenham, Darts, Arsenal und Fulham. Einen Überschneidungspunkt hatten wir also schon und es sollte nicht der Einzige bleiben. Glücklicherweise nahm uns ein Bus bis Victoria Station mit. Sogar kostenlos, weil es keine Möglichkeit mehr gab Tickets zu erwerben. Von dort musste ein Taxi her. Mit einer weiteren Deutschen machten wir eine Fahrgemeinschaft auf. Gegen 23 Uhr erreichte ich das Hostel, welches sich als sehr ordentlich herausstellte. Sauber und sogar Frühstück war inklusive. Das erfuhr ich allerdings erst am dritten Tag.

Am nächsten Morgen musste ich mich zunächst mit Hygieneartikeln eindecken und einen Stromadapter organisieren, Bargeld musste auch geholt werden. Auf dem Weg zu einem Geldautomaten besichtigte ich kurz die in unmittelbarer Nähe befindliche Tower Bridge. Ein bisschen Sightseeing gehört schließlich dazu. Auf dem Rückweg wollte ich mir auf dem Borough Market etwas zu essen holen, doch der hatte leider geschlossen. Einige angrenzende Imbisse indes nicht. Also ein englisches Frühstücksbaguette geholt, mit Wurst, Bacon und Spiegelei, Schwierigkeit zu Essen: 8/10. Danach machte ich mich auf den Weg zum Stadion „The Den“ vom berüchtigten Verein Millwall FC. Die 2,5 Meilen, laut Google Maps, dauerten etwas länger als geplant. Ich erreichte das Stadion eine knappe Stunde vor Anpfiff. Am Stadion traf ich auf zwei andere Deutsche und wir machten uns auf die Suche nach einem Bierstand. Das Millwall Cafe vor dem Eingang verkauft diverse frittierte Spezialitäten und den berühmten englischen Kuchen. Bier dürfen sie jedoch nicht ausschenken. Wir mussten einmal um das Stadion herum. Auf dem Weg holten die beiden ihre reservierten Karten. Bevor ich mich selbst anstellen konnte, sprach mich ein älterer Herr an und wollte eine Karte loswerden. Auf dem Ticket stand kein Betrag, er forderte 10£. Im Vergleich dazu, reguläre Tickets kosten 27£. Er wirkte vertrauenswürdig und ich kaufte ihm das Ticket ab. Der  Einlass später lief problemlos, außer, dass ich zunächst den falschen Eingang wählte. Das zog ein paar „always ‚ze germans“-Sprüche nach sich.

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Vorher galt es jedoch den Bierstand zu finden. Beim Umrunden des Stadions fiel uns eine Gedenkecke auf. Dort lagen Blumen und Kränze um an verstorbene Fans zu erinnern. Wir fragten uns sofort, ob es sich dabei um im Kampf gestorbene Hooligans handelt. 50m weiter war ein Zelt aufgebaut. Darin standen einige Tische und Stühle, 2 Fernseher, auf denen Premiere League lief und ein Bierstand. Wir holten eine Runde und waren erstaunt. Das Bier wurde mit einer „Bottoms Up“-Zapfanlage von unten in die Becher gefühlt. Dadurch kann das Bier in rekordschnelle eingefüllt werden, was hier absolut nicht notwendig war, denn der Andrang hielt sich in Grenzen. Überhaupt war das neue Stadion „The Den“ seit dem Umzug 1993 noch nie ausverkauft. Herein passen knapp über 20.000 Zuschauer, heute kamen etwa 8500. Das „Den“ war das erste neue errichtete, reine Sitzplatzstadion nach der Tragödie von Hillsborough. Es ist dennoch ein typisch englisches Stadion, vier einzelne Tribünen und extreme Nähe zum Spielfeld.

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Das Spiel war sehr zäh und es gab praktisch keine Torchancen. Walsall ging mitte der ersten Halbzeit in Führung, Millwall brachte nicht viel zustande. Ich weiß nicht ob die Leistung derart erschreckend war, aber nie zuvor habe ich das Wort „Cunt“ so häufig gehört, wie bei diesem Spiel. Schon während dem Spiel fand mein Sitznachbar viele Gründe es anzuwenden. Als ich dann zur Halbzeit auf die Toilette ging, stellte sich ein Millwall-Fan mit der geringer Kopfbehaarung neben mich und beleidigte ziemlich jeden Spieler seiner Mannschaft. Da ich keine Ahnung vom Kader hatte, hielt ich es mit den Pinguinen aus Madagaskar und lächelte freundlich. Im Anschluss besorgte ich mir einen englischen Pie und hatte für den Rest des Tages diesen Ohrwurm. Der „Pie“ ist mit unterschiedlichen Fleischsorten gefüllter Blätterteig, etwas trocken am Rand, aber insgesamt durchaus als Alternative zur deutschen Bratwurst geeignet. Kurz nach der Pause hatte Millwall eine halbwegs gute Möglichkeit, danach kam aber nichts mehr. Die Stimmung war ziemlich englisch. Die Millwall Fans reagierten eher auf Spielsituationen als sich mit Gesängen zu befassen. So gab es vereinzelte „C’mon Millwall“-Rufe, beispielsweise bei Eckbällen, aber das berühmte „No one likes us“ blieb aus. Die Gäste aus Walsall versuchten sich vereinzelt an Gesängen, von denen ich jedoch nichts verstehen konnte. Der Schiedsrichter ließ unerklärlicherweise 6 Minuten nachspielen. Eine Sache auf die ich gerne verzichtet hätte, denn es war extrem zügig im Stadion. Draußen war es gefühlte 10 Grad wärmer, bestätigten auch die anderen beiden Deutschen. Am Millwall Cafe traf ich sie nach dem Spiel wieder. Es hatte bereits geschlossen. Gut, dass ich mir in der Halbzeit einen „Pie“ geholt habe.

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Der Plan war dann eine Sportsbar zu finden, um Darts und das Abendspiel der Premiere League zu schauen. Bar Nummer 1 zeigte gerade Newcastle – Everton. Die Frage nach Darts wurde jedoch verneint. Daher zogen wir nach einem Pint weiter. Wir endeten im Pub neben meinem Hostel und wurden nicht enttäuscht. Es gab Burger und auf Nachfrage wurde auf einigen Fernsehern Darts angemacht. Das Abendspiel verlor Arsenal in Southampton 4:0. Die beiden Deutschen gingen zurück ins Hotel und ich unterhielt mich mit zwei Dänen. Sie waren für das Spiel Chelsea – Watford rübergeflogen und wollten heute Abend noch etwas unternehmen. Falls es jemanden interessiert, ich kann aus sicheren Quellen berichten, dass Strip Clubs in London am Boxing Day geschlossen haben.

Am nächsten Tag war kein Fußball, daher wollte ich mir möglichst viele Stadien ansehen. Die Unterhaltungen mit den Dänen führten allerdings dazu, dass ich später als erwartet aufgestanden bin. Erst gegen Mittag machte ich mich auf den Weg zur Stamford Bridge. Ein ganz andere Welt, im Vergleich zum Millwall am Vortag. Das Gelände rundherum wirkt perfekt durchgeplant. Es gibt ein Museum, mehrere Fanshops, mehrere Hotels, ein Restaurant und einen eigenen Spa Club. Alles ist in blauen Farben gehalten, sogar die Europaletten für die Lieferungen zu den Verkaufsständen im Stadion sind blau lackiert. Ich umrundete das Stadion, aber verzichtete auf eine Führung. 19£ war es mir nicht wert und es standen schließlich weitere Stadien auf der Liste. Interessant ist, dass die Stamford Bridge, wie viele englische Stadien mitten zwischen Wohnhäusern steht und die nächste U-Bahn-Station einen Ausgang durch ein Einkaufscenter hat. Das könnte vor allem bei internationalen Spielen Probleme nach sich ziehen.

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Als nächstes Besichtigte ich das Stadion „Loftus Road“ von den Queens Park Rangers, aktuell in der zweiten Liga beheimatet. Von außen deutlich unspektakulärer als die Stamford Bridge. Alles war verschlossen, obwohl morgen ein Spiel gegen Huddersfield Town anstand. Also schnell weiter zum Wembley Stadion. Das Wembley ist quasi ein ganzer Stadtteil. Es ist umringt von Hotels, Supermärkten und Einkaufszentren, dazu gibt es eine Fußballanlage, mit In- und Outdoorfeldern für Hobbymannschaften. Zur Weihnachtszeit war zusätzlich ein kleiner Markt mit Riesenrad aufgebaut. Das Stadion an sich wirkt surreal. Es wurde kürzlich von Will Magee als Nicht-Ort bezeichnet, was nachvollziehbar ist. Denn im langsam dunkel werdenden London wirkt der Beton- und Stahlklotz ein wenig leblos. Immerhin haben die Architekten und Betreiber ihr Möglichstes versucht, um dem Stadion Leben einzuhauchen. Sicherlich bringt ein Riesenrad nicht unbedingt, eine von Fans geliebte Atmosphäre, die Fußballfelder helfen allerdings schon. Sie haben etwas Normales und Alltägliches, neben dem außerirdischen Eventtempel.

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Es ist mittlerweile dunkel. Alle Stadien habe ich nicht geschafft, dafür fehlt im Winter auch ein wenig Sonnenlicht. Die zwei Deutschen vom Flughafen, Roman und Flo melden sich. Sie wollen sich später im „Draft House“ treffen, ein Restaurant mit selbstgemachten Burgern und unzähligen Biersorten. Ich fahre zum Hostel, lege meinen Rucksack ab und laufe zum Treffpunkt. Die Burger waren extrem gut, definitiv Top 5 meiner persönlichen Burgerliste. Beim Bier gab es Licht und Schatten. Eins der besseren Sorten war ein Mangobier, während einige Ales oder Weihnachtsbiere uns eher nicht zusagten. Anschließend wollten wir ins Shoreditch, ein gentrifiziertes Kunst und Kulturviertel mit vielen Pubs. Roman machte auf Reiseführer und fragte zur Sicherheit alle 50 Meter nach dem Weg. Ziel war ein Pub namens „Owl & Pussycat“. Nach einem kurzen Zwischenstopp, zum Wasser lassen und wieder auffüllen, in einer Bar mit Happy Hour erreichten wir den Pub. Ein Dank geht an den Reiseführer. Das „Owl & Pussycat“ ist ein schöner Pub mit altmodischem Flair. Dank des milden Winters waren auch die Tische im Hinterhof besetzt. Dort kamen wir mit drei Franzosen, einem verlobten Pärchen und der Schwester des Ehemanns in spe, ins Gespräch. Unser Glück, denn sie wohnten in der Nähe und luden uns nach der Sperrstunde auf einen Wein ein. Dazu wurde selbstverständlich auch Käse gereicht – Vive la France. Ein kurioser Ausklang eines lustigen Abends.

Mirkchief

PS: Berichte von weiteren Spielen folgen.

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